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Bericht über die Rechtsstaatlichkeit


Europäische Kommission legt ersten Bericht über die Lage der Rechtsstaatlichkeit in allen EU-Staaten vor
Einige Mitgliedstaaten, darunter Bulgarien, Kroatien, Frankreich und Rumänien, haben bereits umfassende Antikorruptionsstrategien verabschiedet und andere bereiten solche Strategien gerade vor



Die Europäische Kommission hat ihren ersten EU-weiten Bericht über die Situation der Rechtsstaatlichkeit in den einzelnen Mitgliedstaaten veröffentlicht. Untersucht wurden die nationalen Justizsysteme, Korruptionsbekämpfung, Medienpluralismus und -freiheit sowie sonstige institutionelle Aspekte im Zusammenhang mit der Gewaltenteilung. "Der Rechtsstaat schützt die Menschen vor dem Recht des Stärkeren. Wenngleich wir in der EU sehr hohe Standards in Bezug auf die Rechtsstaatlichkeit haben, besteht an verschiedenen Stellen Handlungsbedarf", so Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. "Die Europäische Kommission wird weiterhin mit den Mitgliedstaaten an Lösungen arbeiten, um die alltäglichen Rechte und Freiheiten der Menschen zu gewährleisten."

Kommissionsvizepräsidentin Věra Jourová, zuständig für Werte und Transparenz erklärte: "Wir schließen eine bedeutende Lücke in unserem Instrumentarium zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit. Mit dem neuen Bericht werden erstmals alle Mitgliedstaaten gleichermaßen beleuchtet. So können wir Entwicklungen im Bereich der Rechtsstaatlichkeit ermitteln und zur Vorbeugung der Entstehung ernsthafter Probleme beitragen. Jede Bürgerin und jeder Bürger hat Anspruch auf Zugang zu unabhängigen Gerichten sowie zu freien und pluralistischen Medien und muss darauf vertrauen können, dass ihre bzw. seine Grundrechte gewahrt werden. Nur dann können wir uns mit Fug und Recht als Union der Demokratien bezeichnen."

EU-Justizkommissar Didier Reynders ergänzte: "Der neue Bericht über die Rechtsstaatlichkeit läutet den Beginn eines offenen und regelmäßigen Dialogs mit den einzelnen Mitgliedstaaten ein, in dem wir bewährte Verfahren austauschen und Herausforderungen antizipieren können, bevor sie sich zu Problemen auswachsen. Wir wollen eine echte Kultur der Rechtsstaatlichkeit in der gesamten Europäischen Union schaffen und eine echte Debatte auf Ebene der Mitgliedstaaten sowie der EU anstoßen."

Wichtigste Erkenntnisse zur aktuellen Lage der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten

1. Justizsystem
Eine Reihe von Mitgliedstaaten, darunter Malta, Lettland, die Tschechische Republik, Schweden und Zypern, führt Reformen durch, um die Unabhängigkeit der Justiz zu stärken und den Einfluss der Exekutive und/oder der Legislative auf die Justiz zu verringern. Darunter sind auch Mitgliedstaaten, in denen die Unabhängigkeit der Justiz traditionell als hoch oder sogar sehr hoch angesehen wird.

Das Recht der Exekutive, der Staatsanwaltschaft formelle Anweisungen zu erteilen, auch in einzelnen Fällen, ist in manchen Mitgliedstaaten wie Deutschland und Österreich, ein besonderes Diskussionsthema, insbesondere nach der Rechtsprechung des Europäischer Gerichtshofs zum Europäischen Haftbefehl. In Polen ist die Doppelfunktion des Justizministers, der gleichzeitig Generalstaatsanwalt ist, besonders bedenklich, da dadurch die Anfälligkeit für eine politische Einflussnahme hinsichtlich der Organisation der Staatsanwaltschaft und der Untersuchung von Fällen zunimmt.

Aus den Bewertungen zu den einzelnen Mitgliedstaaten geht hervor, dass die Unabhängigkeit der Justiz in einigen Ländern nach wie vor Anlass zu Bedenken gibt, aufgrund deren in einigen Fällen Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet wurden. Verfahren nach Artikel 7 Absatz 1 laufen gegen Ungarn und Polen wegen der Auswirkungen von Reformen auf die Unabhängigkeit der Justiz. In Bulgarien gaben die Zusammensetzung und die Funktionsweise des obersten Justizrates und die Inspektion des obersten Justizrates Anlass zu Bedenken. In Rumänien finden die in den Jahren 2017-2019 beschlossenen umstrittenen Reformen, die mit negativen Auswirkungen auf die Unabhängigkeit der Justiz einhergehen, weiterhin Anwendung. In Kroatien führt die geringe Verwaltungskapazität des staatlichen Justizrates und des Staatsanwaltsrats bei der Erfüllung ihrer Aufgabe zu Schwierigkeiten, in der Slowakei bestehen seit Langem Bedenken hinsichtlich der Unabhängigkeit und Integrität des Justizsystems.

Auch die Umstellung der Justizsysteme auf das digitale Zeitalter stellt eine EU-weite Herausforderung dar, wobei die derzeitige Pandemie die Notwendigkeit erhöht hat, die dafür erforderlichen digitalen Reformmaßnahmen voranzutreiben.

2. Rahmen für die Korruptionsbekämpfung
Einige Mitgliedstaaten, darunter Bulgarien, Kroatien, Frankreich und Rumänien, haben bereits umfassende Antikorruptionsstrategien verabschiedet und andere bereiten solche Strategien gerade vor. Um in diesem Bereich wirksame Fortschritte zu erzielen, kommt es jedoch vor allem auf eine wirksame Umsetzung und Überwachung an. Außerdem haben viele Mitgliedstaaten Maßnahmen zur Stärkung ihres Rahmens für Korruptionsvorbeugung und Integrität ergriffen bzw. beabsichtigen, dies zu tun. Andere wiederum haben Maßnahmen getroffen, um die Kapazitäten ihres Strafjustizsystems zur Korruptionsbekämpfung auszubauen.

Die Wirksamkeit der Ermittlungsverfahren, der Strafverfolgung und der Verurteilung in Korruptionsfällen gibt allerdings, unter anderem auch bei hochrangigen Korruptionsfällen, in mehreren Mitgliedstaaten Anlass zu Bedenken, darunter in Bulgarien, Malta, Kroatien, der der Slowakei, der Tschechischen Republik und Ungarn.

3. Medienfreiheit und -pluralismus
Die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union profitieren in Bezug auf die Freiheit und den Pluralismus der Medien im Großen und Ganzen von hohen Standards. Insbesondere während der Coronavirus-Pandemie haben die Medien einen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung von Desinformation geleistet. Dem Bericht zufolge gibt es jedoch bei einigen Mitgliedstaaten Bedenken in Bezug auf die Wirksamkeit und eine angemessene Ressourcenausstattung der Medien sowie auf Risiken einer Politisierung der Medienbehörden, beispielsweise in Ungarn, Malta und Polen. Des Weiteren bestehen beispielsweise in Bulgarien, Griechenland, Luxemburg, Rumänien und Slowenien Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit mancher nationalen Medienaufsichtsbehörden aufgrund der ihnen zur Verfügung stehenden Mittel.

In den Bewertungen einiger Mitgliedstaaten wurden zudem Fälle aufgezeigt, in denen ernsthafte Bedenken hinsichtlich einer politischen Einflussnahme auf die Medien bestehen. Beispielsweise wurden in Ungarn angesichts des Fehlens von Rechtsvorschriften und Transparenz bei der Verteilung staatlicher Werbung erhebliche Mittel für staatliche Werbung regierungsfreundlichen Unternehmen zugewiesen, wodurch der Regierung die Tür geöffnet wurde, um indirekten politischen Einfluss auf die Medien auszuüben. In Österreich werden relativ hohe Beträge für staatliche Werbung an Medienunternehmen vergeben, und da es keine Regeln für ihre faire Verteilung gibt, sind Bedenken hinsichtlich eines potenziellen politischen Einflusses auf diese Verteilung entstanden. Bedenken wegen der politischen Einflussnahme von Medien bestehen auch in Bulgarien, Malta und Polen.

Und schließlich sind Journalisten und andere Medienakteure im Zusammenhang mit ihrer Arbeit in einer Reihe von Mitgliedstaaten Drohungen oder gar Angriffen ausgesetzt, Beispiele werden in den Länderkapiteln über Bulgarien, Kroatien, Slowenien, Spanien und Ungarn hervorgehoben.

4. Institutionelle Gewaltenteilung
Institutionelle Gewaltenteilung bildet den Kern der Rechtsstaatlichkeit: Sie sorgt dafür, dass die Ausübung hoheitlicher Rechte durch staatliche Stellen einer demokratischen Kontrolle unterliegt. In einer Reihe von Mitgliedstaaten sind Verfassungsreformen eingeleitet worden, die darauf abzielen, die institutionelle Gewaltenteilung zu stärken. Viele Mitgliedstaaten haben systematische Verfahren zur Einbeziehung von Interessenträgern eingeführt, durch die sichergestellt wird, dass Strukturreformen auf der Grundlage eines breiten gesellschaftlichen Dialogs durchgeführt werden. Gleichzeitig geht aus dem Bericht jedoch hervor, dass ein übermäßiger Rückgriff auf beschleunigte Gesetzgebungsverfahren bzw. Notstandsgesetze Anlass zu Bedenken hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit geben kann. So wurde in Polen im Zeitraum 2015-2019 das beschleunigte Verfahren zur Annahme von Vorschriften durch das Parlament umfassend für die Annahme wichtiger Strukturreformen der Justiz eingesetzt, durch die der politische Einfluss auf die Justiz gewachsen ist In Rumänien sorgte die häufige Verwendung von Notverordnungen der Regierung in Schlüsselbereichen, unter anderem für Justizreformen, für Bedenken hinsichtlich der Qualität der Rechtsvorschriften, Rechtssicherheit und der Achtung der Gewaltenteilung.

In der gesamten EU ist die Zivilgesellschaft nach wie vor ein wichtiger Akteur zur Verteidigung der Rechtsstaatlichkeit, und in den meisten Mitgliedstaaten gibt es ein förderliches und unterstützendes Umfeld für die Zivilgesellschaft. In einigen Fällen ist die Zivilgesellschaft jedoch in bestimmten Mitgliedstaaten aufgrund von Rechtsvorschriften, die den Zugang zu ausländischen Finanzquellen einschränken, oder wegen Hetzkampagnen mit ernsthaften Herausforderungen konfrontiert. In Bulgarien werden beispielsweise neue Gesetzentwürfe zur Transparenz ausländischer Finanzmittel für NRO aufgrund ihrer möglichen negativen Auswirkungen auf die Zivilgesellschaft kritisiert. Der Gerichtshof der Europäischen Union stellte im Juni 2020 fest, dass in Ungarn ein Gesetz von 2017 über die Transparenz von mit ausländischen Mitteln finanzierten Organisationen der Zivilgesellschaft unvereinbar mit dem freien Kapitalverkehr und dem Recht auf Vereinigungsfreiheit ist. In Polen richten sich ungünstige Erklärungen von Vertretern öffentlicher Stellen gegen NRO, wodurch der zivilgesellschaftliche Raum beeinträchtigt wird. Auf LGBTI+-Gruppen ausgerichtete Maßnahmen der Regierung, die auch die Festnahme und Haft einiger Vertreter der Gruppen einschließt, sowie Hetzkampagnen gegen diese Gruppen haben die Befürchtungen verstärkt.

Coronavirus-bedingte Notmaßnahmen
Angesichts der anhaltenden Pandemie sind in einer Reihe von Mitgliedstaaten nach wie vor Notstandsregelungen und Krisenmaßnahmen in Kraft. In dem Bericht wird auf einige Probleme eingegangen, die im Rahmen der nationalen Debatten sowie der rechtlichen und politischen Reaktionen auf die Krise aufgetreten sind. So kann eine Änderung oder Aussetzung der üblichen einzelstaatlichen Gewaltenteilungsprozesse in Bezug auf die Rechtsstaatlichkeit besonders problematisch sein. Gleichzeitig werden aber auch mehrere Beispiele für Fälle angeführt, in denen Entscheidungen einzelstaatlicher Gerichte oder die Beteiligung von Ombudspersonen positive Auswirkungen auf Krisenmaßnahmen hatten. Die Kommission wird die Maßnahmen weiter beobachten, bis sie ausgelaufen sind. (Europäische Kommission: ra)

eingetragen: 16.10.20
Newsletterlauf: 08.12.20


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