Handlungsbedarf für die Kreditinstitute


Unfreiwillige Kontolosigkeit: Banken wehren sich gegen gesetzliche Pflicht eines "Girokontos für jedermann"
Die Verbraucherzentrale Bundesverband hält "nach 17 Jahren erfolgloser, weil unverbindlicher Selbstverpflichtung der Branche" ein gesetzliches Recht auf ein Girokonto für notwendig


(04.05.12) - Die Banken haben sich gegen den Vorwurf der unzureichenden Umsetzung des "Girokontos für jedermann" gewehrt. Man habe dafür gesorgt, "dass die deutschen Kreditinstitute grundsätzlich jedem Antragsteller, der ein Konto wünscht und bisher über kein solches verfügt, ein Girokonto einrichten", hieß es in einer Stellungnahme der Deutschen Kreditwirtschaft, der Spitzenorganisation der deutschen Banken- und Sparkassenverbände, zur öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses.

Grundlage der Anhörung war ein Bericht der Bundesregierung zur Umsetzung der Empfehlungen des Zentralen Kreditausschusses (heute: Deutsche Kreditwirtschaft) zum Girokonto für jedermann (17/8312). Darin ist von weiterhin dringendem Handlungsbedarf für die Kreditinstitute die Rede. Die Kreditwirtschaft habe weder die Empfehlung für ein Girokonto für jedermann in eine Selbstverpflichtung umgewandelt noch habe sie die Schlichtungssprüche ihrer Schiedsstellen für die Mitgliedsinstitute für verbindlich erklärt. Nach der Empfehlung kann ein Kunde ein Girokonto unabhängig von Art und Höhe seiner Einkünfte und auch bei schlechten Schufa-Einträgen erhalten. Der Kunde erhält damit die Möglichkeit zur Entgegennahme von Gutschriften, zu Ein- und Auszahlungen in bar sowie zur Teilnahme am Zahlungsverkehr. Es gibt inzwischen etwa 2,5 Millionen dieser Konten.

Bei der von der Europäischen Kommission genannten Zahl von 670.000 Kontolosen in Deutschland handelt es sich nach Auffassung der Regierung aber allenfalls um eine "äußerst grobe Schätzung". In der Anhörung ging es ebenfalls um drei Anträge der Oppositionsfraktionen SPD (17/7823), Die Linke (17/8141) und Bündnis 90/Die Grünen (17/7954), in denen das Recht auf ein Guthabenkonto beziehungsweise die gesetzliche Verankerung des Girokontos für jedermann verlangt werden.

Die Kreditwirtschaft bezweifelte die Richtigkeit der genannten Zahlen und auch der EU-Schätzung. Die Behauptungen in dem Regierungsbericht über unzureichende Informationen über Beschwerdeverfahren hielt sie für unbegründet. Zahlen der Bundesagentur für Arbeit zu Zahlungsanweisungen an kontolose Empfänger seien nicht berücksichtigt worden. Es handele sich demnach um vielleicht 2.500 Personen. "Dieser Wert dürfte viel näher an der tatsächlichen Zahl der von unfreiwilliger Kontolosigkeit betroffenen Bürger liegen als die sonstigen nicht repräsentativen Hochrechnungen, auf die im Bericht abgestellt wird", so die Kreditwirtschaft.

Die Bundesagentur für Arbeit setzte sich auch wegen der hohen Kosten für Barauszahlungen für eine gesetzliche Regelung ein. Im vergangenen Jahr seien 10,86 Millionen Euro an Entgelten für insgesamt 1,529 Millionen Zahlungsanweisungen zur Verrechnung an Empfänger ohne Bankverbindung angefallen. Diese Zahlungsanweisungen können bei Post oder Postbank zur Auszahlung vorgelegt werden.

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) sprach von "Umsetzungsdefiziten" bei der Empfehlung der Kreditwirtschaft. Zwar lägen keine signifikant hohen Beschwerdezahlen vor, aber man gehe von einer deutlich höheren Dunkelziffer aus. Eine gesetzliche Regelung wäre zu begrüßen, so die BaFin. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung listete zahlreiche Fälle auf, in denen Banken die Einrichtung eines Girokontos für jedermann verweigert oder erschwert hätten.

Die Verbraucherzentrale Bundesverband hielt "nach 17 Jahren erfolgloser, weil unverbindlicher Selbstverpflichtung der Branche" ein gesetzliches Recht auf ein Girokonto für notwendig. Es gebe mindestens eine halbe Million Betroffene, vermutlich sogar mehr. Die gesetzliche Verpflichtung der nordrhein-westfälischen Sparkassen zur Führung des Girokontos für jedermann hat nach Angaben der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen dazu geführt, dass andere Banken die Einrichtung dieser Konten verweigern würden.

Professor Hugo Grote (RheinAhrCampus der Fachhochschule Koblenz in Remagen) empfahl eine Pflicht der Banken, Konten für jedermann einzurichten: "Insofern scheint ein Handeln des Gesetzgebers in Form eines Kontrahierungszwangs aufgrund der Güterabwägung nicht nur verfassungsrechtlich zulässig, sondern auch verfassungsrechtlich geboten."

Auch Professor Wolfhard Kohte (Universität Halle) empfahl gesetzgeberisch Maßnahmen. Der Weg, sich auf die Selbstverpflichtung der Banken zu verlassen, "hat sich als eine Sackgasse erwiesen". Professor Matthias Caspar (Universität Münster) hielt einen Kontrahierungszwang dagegen für begründungsbedürftig und empfahl statt dessen eine bessere Ausgestaltung der bisherigen Selbstverpflichtung. (Deutscher Bundestag: ra)


Kostenloser Compliance-Newsletter
Ihr Compliance-Magazin.de-Newsletter hier >>>>>>


Meldungen: Bundestag, Bundesregierung, Bundesrat

  • Sorgfaltspflichten für Online-Dienste

    Bei einer öffentlichen Anhörung des Digitalausschusses ist das von der Bundesregierung geplante Digitale-Dienste-Gesetz (20/10031) zur Umsetzung des Digital Services Act (DSA) auf nationaler Ebene von den geladenen Sachverständigen überwiegend begrüßt worden. Moderate Kritik wurde an einzelnen Punkten des Entwurfs zur Umsetzung laut.

  • Einsatz von KI birgt auch Risiken

    Die Deutsche Bundesregierung erkennt in der Nutzung Künstlicher Intelligenz (KI) ein "vielfältiges und beträchtliches" Potenzial für Beschäftigte und den Arbeitsmarkt. KI könne die Produktivität von Beschäftigten steigern und diese bei ihren Tätigkeiten entlasten.

  • EU-Plastikabgabe weiter in Abstimmung

    Die Deutsche Bundesregierung befindet sich momentan noch in der Abstimmung hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung der nationalen Umlegung der EU-Plastikabgabe. Verschiedene Optionen würden geprüft.

  • Bedeutung gemeinwohlorientierter Unternehmen

    Die Parlamentarische Staatssekretärin des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), Franziska Brantner (Bündnis 90/Die Grünen), hat bei der Aussprache zur Unterrichtung des Bundestages zur Nationale Strategie für Soziale Innovationen und Gemeinwohlorientierte Unternehmen im Wirtschaftsausschuss die Bedeutung des Programms betont.

  • Mehr Recycling-Anreize

    In seiner derzeitigen Form hat Paragraf 21 des Verpackungsgesetzes aus Sicht der Bundesregierung für die Hersteller systembeteiligungspflichtiger Verpackungen bereits ein wichtiges Signal in Richtung des ökologischen Verpackungsdesigns gesetzt.

Wir verwenden Cookies um unsere Website zu optimieren und Ihnen das bestmögliche Online-Erlebnis zu bieten. Mit dem Klick auf "Alle akzeptieren" erklären Sie sich damit einverstanden. Erweiterte Einstellungen