Experten uneins über Visa-Warndatei


Einrichtung einer Visa-Warndatei: Ein wirkungsvolles Instrument zur Verhinderung der irregulären Migration?
Datei soll der Vermeidung von Visummissbrauch dienen - Deutschen Anwaltverein hat Bedenken, ob dies den verfassungsrechtlichen Anforderungen standhält


(03.11.11) - Die Regierungspläne zur Einrichtung einer Visa-Warndatei stoßen bei einer Reihe von Experten auf Bedenken. Fachleute von Bundespolizei und Bundeskriminalamt begrüßten demgegenüber bei einer Sachverständigen-Anhörung des Innenausschusses den entsprechenden Gesetzentwurf der Bundesregierung (17/6643).

Mit der Vorlage sollen die gesetzlichen Grundlagen für die Errichtung einer zentralen Visa-Warndatei sowie für ein "Verfahren für einen mittelbaren Abgleich von bestimmten Daten aus Visa-Verfahren für Sicherheitszwecke" geschaffen werden. In erster Linie soll die Datei laut Bundesregierung der Vermeidung von Visummissbrauch dienen. In ihr sollen Warndaten zu Personen gespeichert werden, die wegen "einer der für das Visumverfahren relevanten Katalogstraftaten nach dem Aufenthaltsgesetz und dem Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz oder im Zusammenhang mit Schleusung, Menschen- und Kinderhandel oder schwersten Betäubungsmitteldelikten" verurteilt worden sind. Ein Zugriff von Sicherheitsbehörden auf diese Datei soll – "abgesehen von den mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörden für die Erteilung von Ausnahmevisa und die Rücknahme von Visa an den Grenzen" – der Vorlage zufolge nicht möglich sein.

Zudem soll laut Entwurf ein neues Verfahren zum Abgleich der Visumantragsdaten mit den Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden zu Personen mit Verbindung zum internationalen Terrorismus eingeführt werden. Danach sollen die Auslandsvertretungen neben den Daten der Visumsantragsteller die Daten von Einladern, Verpflichtungsgebern und sonstigen Referenzpersonen an eine im Bundesverwaltungsamt einzurichtende besondere Organisationseinheit übermitteln, die einen Abgleich mit bestimmten Daten aus der Antiterrordatei vornimmt. Damit soll eine Rückmeldung durch Sicherheitsbehörden an die Visumbehörden ermöglicht werden, wenn Personen aus dem terroristischen Umfeld beabsichtigen, nach Deutschland einzureisen.

Polizeidirektor Carsten Glade vom Bundespolizeipräsidium befürwortete die Einführung der Visa-Warndatei. Sie stelle ein wirkungsvolles Instrument zur Verhinderung der irregulären Migration dar. Durch die Datei könnten die Grenzbehörden künftig "schnell und vor allem auch lückenloser auf entscheidungserhebliche Informationen" zurückgreifen. Auch bei der "grenzpolizeilichen Aufgabenwahrnehmung an den Binnengrenzen" habe die Datei eine wichtige Unterstützungsfunktion. Keine Alternative zur Visa-Warndatei sah der Vizepräsident des Bundeskriminalamts, Jürgen Maurer. Sowohl die Warndatei als auch das Abgleichverfahren erhöhten die Sicherheit in Deutschland, argumentierte er.

Für den Deutschen Anwaltverein sagte Rechtsanwalt Niko Härting, bei der vorgesehenen Regelung zur Speicherung der Daten der Einladenden habe man "Bedenken, ob dies den verfassungsrechtlichen Anforderungen standhält". Der einzige Anknüpfungspunkt für die Speicherung sei, dass bei der "Übernahme der Verpflichtung zur Kostentragung" falsche Angaben gemacht werden. Dabei reichten schon "kleine versehentliche Fehler" des Einladenden. "Das halten wir für zu wenig", betonte Härting.

Christoph Sprich vom Bundesverband der Deutschen Industrie mahnte, das Gesetz dürfe nicht dazu führen, dass seriöse Unternehmen Probleme beim Einladen von Geschäftspartnern bekommen. Mit Blick auf große Unternehmen stelle sich die Frage, wie sich Verfehlungen einzelner Mitarbeiter, Niederlassungen oder Unternehmensteile in der Visa-Warndatei niederschlagen.

Der Rechtsanwalt Sönke Hilbrans mahnte, man müsse prüfen, ob man wirklich eine weitere Infrastruktur für Sicherheitsbelange im Aufenthaltsrecht brauche. Er verwies in diesem Zusammenhang unter anderem auf das Ausländerzentralregister, in dem Ausweisungsgründe, Wiedereinreisesperren und andere Angaben vorhanden seien, die in die Visa-Warndatei aufgenommen werden sollten. Auch habe man die Visumdateien der Auslandsvertretungen und vor allem das Visa-Informationssystem der EU. Aus seiner Sicht bestehe daher "kein Bedarf nach einer weiteren technischen Infrastruktur".

Schleswig-Holsteins Landesbeauftragter für den Datenschutz, Thilo Weichert, stellte die Erforderlichkeit der Warndatei in Frage. Es gehe ja um die Vermeidung des Visa-Missbrauchs. Dies lasse sich auch mit anderen Dateien erreichen, sagte Weichert und nannte unter anderem das Bundeszentralregister und Gewerbezentralregister, in dem Straftaten gespeichert seien. "Verfassungsrechtlich hoch problematisch" sei der Abgleich mit der Antiterrordatei. Dies gehe "gar nicht".

Der Vorsitzende Richter am Verwaltungsgericht Wiesbaden, Hans-Hermann Schild, verwies darauf, dass im Ausländerrecht die EU-Datenschutzrichtlinie zur Anwendung komme. In knapp drei Jahren müssten auch im Bereich der Sicherheitsbehörden die Datenschutzrechtstandards der Richtlinie angewendet werden, sofern man nicht in dem jeweiligen Bereich Ausnahmen habe, die man "gesondert festlegen" müsse. Dabei sei Deutschland "Entwicklungsland". (Deutscher Bundestag: ra)


Meldungen: Bundestag, Bundesregierung, Bundesrat

  • Stand zum Emissionshandel für Gebäude und Verkehr

    Die Bundesregierung wird ein neues Klimaschutzprogramm vorlegen, das im Zeitraum bis zum Jahr 2030 auch Maßnahmen zur Treibhausgasminderungsquote im Bereich der durch die EU-Lastenverteilungsverordnung (ESR) erfassten Sektoren Gebäude und Verkehr enthalten wird. Die Maßnahmen für das Programm werden derzeit entwickelt. Das geht aus der Antwort (21/1072) der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage (21/762) der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hervor.

  • Fluggastrechteverordnung für reformbedürftig

    Die Bundesregierung lehnt die Erhöhung von Zeitschwellen für Entschädigungen in der Fluggastrechteverordnung der EU ab. Sie stellt sich damit gegen einen entsprechenden Beschluss des Rates der EU-Verkehrsminister, wie aus einer Antwort (21/962) auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (21/749) hervorgeht. Eine solche "Abschwächung des Verbraucherschutzniveaus" lehne die Bundesregierung ab. Sie trete für einen "ausgewogenen Ausgleich der Interessen der Fluggäste und der Luftfahrtunternehmen sowie der Reisewirtschaft" ein.

  • Digitalisierung des Gesundheitswesens

    Der Petitionsausschuss hält mehrheitlich an der Widerspruchslösung (Opt-out-Lösung) bei der elektronischen Patientenakte (ePA) fest. In der Sitzung verabschiedete der Ausschuss mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD die Beschlussempfehlung an den Bundestag, das Petitionsverfahren zu der Forderung, die elektronische Patientenakte nur mit ausdrücklichem Einverständnis der Betroffenen anzulegen (Opt-in-Lösung), abzuschließen, weil keine Anhaltspunkte für parlamentarische Aktivitäten zu erkennen seien.

  • Angaben zu Cum-Cum-Geschäften

    Derzeit befinden sich 253 Cum-Cum-Verdachtsfälle mit einem Volumen in Höhe von 7,3 Milliarden Euro bei den obersten Behörden der Länder und dem Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) in Bearbeitung. Diese Angaben macht die Bundesregierung in ihrer Antwort (21/915) auf eine Kleine Anfrage (21/536) der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen zu den rechtswidrigen Steuergeschäften.

  • Konformitätsbewertung von Produkten

    In einer Kleinen Anfrage (21/946) möchte die AfD-Fraktion von der Bundesregierung wissen, wie die EU-Maschinenverordnung (EU/2023/1230) im Hinblick auf KI-basierte Sicherheitssysteme angewendet und begleitet werden soll. Die Verordnung, die ab dem 20. Januar 2027 gilt, stellt laut Vorbemerkung der Anfrage neue Anforderungen an Maschinen mit eingebetteter Künstlicher Intelligenz.

Wir verwenden Cookies um unsere Website zu optimieren und Ihnen das bestmögliche Online-Erlebnis zu bieten. Mit dem Klick auf "Alle akzeptieren" erklären Sie sich damit einverstanden. Erweiterte Einstellungen