Sie sind hier: Home » Recht » Deutschland » Weitere Urteile

Bundesgerichtshof stärkt Anlegerschutz


BGH stellt fest: Prospekthaftungsansprüche gelten auch dann, wenn ein Anleger den Prospekt vor seiner Anlageentscheidung überhaupt nicht zur Kenntnis genommen hat
Bei Kapitalanlageprodukten: Prospektfehler wirken sich genauso aus, als wäre der Prospekt dem Anlageinteressenten persönlich ausgehändigt worden


(11.12.07) - Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes (BGH) hat ein wegweisendes Urteil gefällt (II ZR 21/06): Die Richter hatten zu entscheiden, ob sich ein Anleger bei der Geltendmachung von Prospekthaftungsansprüchen auch dann auf die Fehler im Prospekt berufen kann, wenn er diesen vor seiner Anlageentscheidung überhaupt nicht zur Kenntnis genommen hat. Dies hat der BGH nun bejaht.

Der Kläger, der sich im Jahre 1999 als atypisch stiller Gesellschafter am sog. Unternehmenssegment VII der mittlerweile insolventen Securenta Göttinger Immobilienanlagen und Vermögensmanagement AG beteiligte, nimmt die Beklagten als deren damalige Vorstandsmitglieder im Wege des Schadensersatzes auf Erstattung geleisteter Einlagen sowie auf Freistellung von weiteren Ratenzahlungsverpflichtungen gegenüber der Securenta AG in Anspruch. Seine Klage stützt er darauf, dass der Emissionsprospekt, den er vor Vertragsschluss nicht erhalten hatte, in wesentlichen Punkten unvollständig gewesen sei.

Nachdem der Kläger vor dem Landgericht mit seiner Klage im wesentlichen erfolgreich war, hat das Oberlandesgericht der von den Beklagten eingelegten Berufung mit der Begründung stattgegeben, der fehlerhafte Prospekt sei nicht Grundlage der Anlageentscheidung geworden, weil er dem Anlageinteressenten nicht vorgelegen habe.

Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs ist dieser Argumentation nicht gefolgt. Er hat darauf abgestellt, dass der Prospekt hier entsprechend dem Vertriebskonzept der Anlagegesellschaft bestimmungsgemäß die Grundlage für die Unterrichtung der Anleger durch die Vermittler geworden ist. Dann aber wirken sich Prospektfehler genauso aus, als wäre der Prospekt dem Anlageinteressenten persönlich ausgehändigt worden.

Damit kam es für die bürgerlich-rechtliche Prospekthaftung auf den Inhalt des Prospekts an. Dieser war jedenfalls insofern unvollständig, als darin die bankrechtlichen Zweifel an der von der Securenta AG propagierten ratierlichen Auszahlung der späteren Guthaben – der sog. Securente – nicht erwähnt waren. Dass mit dem Kläger eine solche Securente nicht vereinbart worden ist, spielt dabei keine Rolle. Denn es war absehbar, dass zahlreiche andere Anleger kündigen würden, wenn sie von den rechtlichen Bedenken gegen die Securente erfahren würden – wie auch tatsächlich geschehen. Dadurch entstand auch im Hinblick auf die Anlage des Klägers die Gefahr, dass die Securenta AG in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten werde.

Allerdings muss sich der Kläger grundsätzlich die Steuervorteile anrechnen lassen, die er während seiner Beteiligung an dem Unternehmenssegment VII erzielt hat. Dazu und zur Prüfung von Verjährungsfragen hat der Senat die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Es lässt sich schon jetzt sagen, dass das Urteil eine enorme Verbesserung des Anlegerschutzes bedeutet. Denn bei Kapitalanlageprodukten, die mittels Prospekten über ein Vertriebsunternehmen verkauft werden, kommt es in Zukunft nicht mehr auf die Frage an, ob der Anleger den fehlerhaften Prospekt erhalten oder gelesen hat. Maßgeblich ist – natürlich neben anderen Voraussetzungen – nur noch, ob der Prospekt Fehler aufweist oder nicht.

Die Siegburger Kanzlei Göddecke begrüßt das Urteil: "In vielen von uns geführten Verfahren haben wir stets argumentiert, dass es aufgrund der Ausstattung des Vertriebs mit dem Prospekt letztlich nicht darauf ankommen kann, ob der Prospekt vorgelegt wird oder nicht", sagte Rechtsanwalt Mathias Corzelius von der Kanzlei Göddecke. "Diese Auffassung hat sich jetzt endlich durchgesetzt."

Urteil vom 3. Dezember 2007 - II ZR 21/06
Landgericht Saarbrücken - Urteil vom 19.05.2004 – 1 O 435/02
Saarländisches Oberlandesgericht - Urteil vom 15.12.2005 – 8 U 330/04

(Bundesgerichtshof: Göddecke: ra)


Kostenloser Compliance-Newsletter
Ihr Compliance-Magazin.de-Newsletter hier >>>>>>


Meldungen: Weitere Urteile

  • Gewinnermittlung nach der Tonnage

    Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Beschluss vom 19.10.2023 - IV R 13/22 dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Frage vorgelegt, ob § 52 Abs. 10 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes - GG -) verstößt, soweit diese Vorschrift die rückwirkende Anwendung des § 5a Abs. 4 Satz 5 und 6 EStG für Wirtschaftsjahre anordnet, die nach dem 31.12.1998 beginnen.

  • Wettbewerbsverstöße von Drittanbietern

    In dem Grundsatzverfahren der Wettbewerbszentrale zur Frage der Reichweite der Haftung von Marktplatzbetreibern für Wettbewerbsverstöße von Drittanbietern hat jüngst das OLG Frankfurt am Main geurteilt (OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 21.12.2023, Az. 6 U 154/22 - nicht rechtskräftig). Es hat die erstinstanzliche Entscheidung bestätigt und die Berufung gegen das Urteil des LG Frankfurt am Main (LG Frankfurt am Main, Urteil vom 02.09.2022, Az. 3-12 O 42/21) zurückgewiesen.

  • Rahmenbedingungen der Steuerberaterprüfung

    Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 11.07.2023 - VII R 10/20 weitere Klarheit in Bezug auf die rechtlichen Rahmenbedingungen der Steuerberaterprüfung geschaffen. Die Entscheidung bestätigt die Rechtmäßigkeit der Möglichkeit, die schriftlichen Prüfungsarbeiten ohne Verwendung eines anonymisierten Kennzahlensystems anfertigen zu lassen.

  • Aufwendungen für Ferienimmobilienanbieter

    Wie der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 17.08.2023 - III R 59/20 entschieden hat, können Aufwendungen, die ein Ferienimmobilienanbieter tätigt, damit ihm die Eigentümer von Ferienimmobilien diese zur Vermietung an Reisende überlassen, als Mieten zu qualifizieren sein und zu einer gewerbesteuerrechtlichen Hinzurechnung zum Gewinn führen. Die Klägerin, eine Verwaltungs - und Beteiligungs-Gesellschaft mbH, war im Streitjahr 2010 zu 100 Prozent an einer Firma (X) beteiligt, die Reisenden Ferienimmobilien über Kataloge, eine Internet-Plattform und über Vermittler, wie zum Beispiel Reisebüros anbot. Zudem war die Klägerin Organträgerin der X, weshalb ihr das Ergebnis der Organgesellschaft steuerlich zugerechnet wurde.

  • Bestehen einer steuerlichen Organschaft

    Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 11.07.2023 - I R 21/20 für den Fall der Verschmelzung einer Kapital- auf eine Personengesellschaft entschieden, dass der übernehmende Rechtsträger als ("neuer") Organträger auch dann in die bereits beim übertragenden Rechtsträger (als "alter" Organträger) erfüllte Voraussetzung einer finanziellen Eingliederung der Organgesellschaft eintritt, wenn die Umwandlung steuerlich nicht bis zum Beginn des Wirtschaftsjahres der Organgesellschaft zurückbezogen wird.

Wir verwenden Cookies um unsere Website zu optimieren und Ihnen das bestmögliche Online-Erlebnis zu bieten. Mit dem Klick auf "Alle akzeptieren" erklären Sie sich damit einverstanden. Erweiterte Einstellungen