Unternehmen vernachlässigen Compliance


Studie: Über die Hälfte der deutschen Großunternehmen hat kein Programm zur Kriminalitätsprävention
Compliance ist häufig nur oberflächlich etabliert - Die Compliance-Verantwortung liegt bei den meisten Unternehmen bei der Geschäftsführung


(23.03.10) - Die meisten deutschen Großunternehmen verzichten noch immer auf ein Compliance-Programm. Wie eine Studie der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg aufzeigt, haben 56 Prozent von 500 befragten Unternehmen keine konsistenten Richtlinien und Methoden zur Abwehr von Wirtschaftskriminalität und Durchsetzung ethischer und rechtlicher Standards etabliert. Bei mehr als jedem zweiten dieser Unternehmen steht die Einführung eines Compliance-Programms auch mittelfristig nicht auf der Agenda.

"Die Skepsis gegenüber dem Thema Compliance ist noch immer groß. Doch viele Unternehmen überschätzen die Kosten und unterschätzen den Nutzen eines Compliance-Programms", betont Steffen Salvenmoser, ehemaliger Staatsanwalt und Partner bei PwC. So lehnen sechs von zehn Unternehmen die Einführung von Kontroll- und Präventionsmechanismen aus Sorge vor zu viel Bürokratie ab. Gut jedes zweite hält Compliance schlicht für zu teuer.

Doch auch bei vielen Unternehmen, die über ein Compliance-Programm verfügen, zeigt die Studie Verbesserungsbedarf auf. Häufig sind die Programme zu eng auf bestimmte Delikte und Zielgruppen zugeschnitten. Zudem fehlen oft die nötigen personellen Ressourcen.

Für die Studie "Compliance und Unternehmenskultur - Zur aktuellen Situation in deutschen Großunternehmen" wurden von Mai bis Juni 2009 500 Großunternehmen in Deutschland befragt.

Personaldecke ist zu dünn
Wie viele Mitarbeiter mit dem Thema Compliance befasst sind, hängt vor allem von der Größe der Unternehmen ab. Im Durchschnitt haben Unternehmen zehn Beschäftigte, die für die Kontrolle und Durchsetzung der internen Regelwerke zuständig sind.

Allerdings gibt es bei gut einem Drittel der Befragten mit mehr als 1.000 Beschäftigten und bei etwa jedem achten Großunternehmen mit über 5.000 Beschäftigten lediglich einen einzigen für Compliance zuständigen Mitarbeiter. "Bei Unternehmen dieser Größenordnung ist dies eindeutig nicht ausreichend. Unter diesen Voraussetzungen haben Compliance-Bemühungen kaum Aussicht auf Erfolg", kritisiert Salvenmoser. Von den befragten Unternehmen halten 61 Prozent ihre Compliance-Ressourcen für ausreichend, während 22 Prozent die vorhandene Ausstattung als "mittelmäßig" und 17 Prozent sogar als "unzureichend" einstufen.

Die Compliance-Verantwortung liegt bei den meisten Unternehmen (69 Prozent) bei der Geschäftsführung, gut sechs von zehn Befragten haben einen Compliance-Beauftragten. Wenn die Zuständigkeit für die Regelüberwachung übertragen wird, liegt diese meist bei der Rechtsabteilung (55 Prozent der Unternehmen), eine eigene Compliance-Abteilung haben nur 29 Prozent der Befragten.

Kunden und Lieferanten bleiben außen vor
Compliance-Programme richten sich bei der großen Mehrzahl der Unternehmen an Führungskräfte (92 Prozent) sowie die weiteren Mitarbeiter (82 Prozent). Externe Personen sind demgegenüber weitaus seltener eingebunden. Nur knapp jedes zweite Unternehmen (47 Prozent) bezieht seine Lieferanten und Subunternehmer in das Regelwerk ein, andere "Drittparteien" (beispielsweise Kunden) werden nur von 39 Prozent der Compliance-Programme angesprochen.

Auch bei der Kommunikation der ethischen und rechtlichen Grundsätze sowie Handlungsanweisungen zeigen sich Defizite. Zwar nutzen 85 Prozent der Befragten unternehmensinterne Kommunikationswege wie Meetings und Rundschreiben, und 65 Prozent verfügen über ein Compliance-Handbuch.

Externe Adressaten sprechen jedoch selbst die Unternehmen, die diese Zielgruppe in ihrem Compliance-Programm identifiziert haben, nur in zwei von drei Fällen an. Damit kennt jeder dritte unternehmensexterne Geschäftspartner nicht die Regeln, an die er sich halten soll.

Defizite zeigt die Studie auch bei der inhaltlichen Ausrichtung der Compliance-Programme auf. So bleibt der Umgang mit Spenden und Sponsoring bei 30 Prozent der Befragten ungeregelt und gut jedes dritte Unternehmen befasst sich nicht mit wettbewerbswidrigen Absprachen. Zudem haben gut 30 Prozent der börsennotierten Befragten keine expliziten Regeln und Vorkehrungen zur Abwehr von Insiderhandel.

Compliance-Vereinbarungen und Programme sind nur dann sinnvoll, wenn ihre Einhaltung auch überwacht und dokumentiert wird. Bei knapp neun von zehn Unternehmen gibt es mindestens einmal jährlich einen Compliance-Report für die Geschäftsleitung, sieben von zehn Befragten haben zudem ein internes Monitoring.

Demgegenüber hat erst jedes vierte Unternehmen seine Mitarbeiter dazu befragt, in wie weit sie das Compliance-Programm kennen und unterstützen. Einer unabhängigen externen Prüfung haben sich bislang 35 Prozent der Befragten unterzogen.

Compliance braucht offene Unternehmenskultur
Ein wesentlicher Faktor für die Wirksamkeit von Compliance-Programmen ist die Unternehmenskultur. Unternehmen mit einer positiven Unternehmenskultur, d. h. starkem Zusammenhalt unter den Mitarbeitern, hoher informeller Sozialkontrolle und niedriger Toleranz gegenüber Regelverstößen, decken deutlich seltener Fälle von Wirtschaftskriminalität auf als andere Befragte. Dabei ist bemerkenswert, dass Betriebe mit positiver Unternehmenskultur häufiger Kontroll- und Präventionsmechanismen etabliert haben.

Beispielsweise verfügen 38 Prozent der befragten Unternehmen mit positiver Unternehmenskultur über ein Anti-Korruptionsprogramm, während dies nur auf 21 Prozent der Befragten mit unterdurchschnittlicher Unternehmenskultur zutrifft. Dennoch wurden 14 Prozent dieser Unternehmen in den vergangenen zwei Jahren Opfer von Korruption, jedoch nur neun Prozent der Befragten mit positiver Unternehmenskultur.

"Das so genannte Kontrollparadox – wer mehr kontrolliert, findet auch mehr Verstöße – trifft auf Unternehmen mit einer überdurchschnittlichen Unternehmenskultur gerade nicht zu. Dies ist ein Beleg dafür, dass Compliance-Programme wirksam sind, wenn sie von allen Beteiligten konsequent umgesetzt werden und die Rahmenbedingungen im Unternehmen stimmen", kommentiert Claudia Nestler, Partnerin bei PwC im Bereich Forensic Services. (PricewaterhouseCoopers: ra)

PricewaterhouseCoopers: Kontakt und Steckbrief

Der Informationsanbieter hat seinen Kontakt leider noch nicht freigeschaltet.


Meldungen: Studien

  • Datenschutz als Innovations-Bremse

    Mehr als zwei Drittel der Unternehmen in Deutschland fühlen sich vom Datenschutz ausgebremst. 70 Prozent haben bereits mindestens einmal Pläne für Innovationen aufgrund von Datenschutz-Vorgaben oder Unsicherheiten bei der Anwendung des geltenden Rechts gestoppt. Vor einem Jahr lag der Anteil noch bei 61 Prozent. Aktuell sagen wie im Vorjahr 17 Prozent, dass sie einmal auf Innovationspläne verzichtet haben. Bei 35 Prozent war das dagegen bereits mehrfach der Fall (2024: 27 Prozent) und bei 18 Prozent sogar häufig (2024: 17 Prozent). Das sind Ergebnisse einer repräsentativen Befragung von 605 Unternehmen ab 20 Beschäftigten in Deutschland im Auftrag des Digitalverbands Bitkom.

  • Gefahr von Cyberattacken

    IT-Verantwortliche bewerten das Risiko, dass ihr Unternehmen Opfer einer Cyberattacke wird, so hoch wie nie zuvor: Fast sieben von zehn Befragten (69 Prozent) befürchten laut einer aktuellen EY-Studie Hackerangriffe und bewerten die Gefahr dabei als "eher hoch" bis "sehr hoch". Besonders große Sorgen machen sich die Befragten in den Bereichen Technologie, Medien und Telekommunikation (82 Prozent), Energie und Metallverarbeitung (80 Prozent), Pharma und Gesundheit sowie Bau und Immobilien (jeweils 71 Prozent).

  • Revolution in der Fertigung

    NTT Data stellte die Ergebnisse ihrer neuesten Studie vor. Die Daten zeigen, dass Fertigungsunternehmen beim Einsatz von GenAI zwar vor einigen Hürden stehen, die Technologie aber das Potenzial hat, ein ganz neues Niveau an Effizienz und Innovationskraft hervorzubringen. Neben den vielen Anwendungsbereichen von GenAI untersuchte die Studie "Von der Fertigungshalle ins KI-Zeitalter: Haben Sie einen Masterplan oder Nachholbedarf?" auch die Herausforderungen, denen sich das produzierende Gewerbe gegenübersieht.

  • Drei Viertel lassen KI-Chancen liegen

    Ob zur Qualitätskontrolle, Automatisierung, Energieeinsparung oder Steuerung von Robotern - die Anwendungsmöglichkeiten für Künstliche Intelligenz in der Produktion sind zahlreich. Mit Blick auf die deutsche Industrie zeigt sich aber: Nur einem Viertel der Unternehmen gelingt es nach eigener Einschätzung bereits gut, die Potenziale von KI zu nutzen (24 Prozent). Das sind Ergebnisse einer repräsentativen Befragung im Auftrag des Digitalverbands Bitkom, die unter 552 Industrieunternehmen des verarbeitenden Gewerbes ab 100 Beschäftigten in Deutschland durchgeführt wurde. Die übrigen drei Viertel sehen sich noch nicht imstande, entsprechende Möglichkeiten auszuschöpfen (72 Prozent).

  • Lösungsansätze gegen den GenAI-Gender Gap

    Frauen drohen bei Künstlicher Intelligenz (KI), die bis 2030 allein in Deutschland 3 Millionen Jobs verändern könnte, ins Hintertreffen zu geraten. So zeigen aktuelle Zahlen von Coursera, dass lediglich 27 Prozent der Lernenden in Generative-AI (GenAI)-Kursen in Deutschland (102.000 Einschreibungen) weiblich sind. Dies liegt noch unter dem weltweiten Durchschnitt von 32 Prozent und reicht im Ländervergleich gerade für einen Platz in den Top-Ten (Platz 9). Und das, obwohl sich allein auf Coursera im vergangenen Jahr weltweit alle 10 Sekunden jemand in einen GenAI-Kurs einschrieb.

Wir verwenden Cookies um unsere Website zu optimieren und Ihnen das bestmögliche Online-Erlebnis zu bieten. Mit dem Klick auf "Alle akzeptieren" erklären Sie sich damit einverstanden. Erweiterte Einstellungen