Kontrolle von Zusammenschlüssen


Europäischer Gerichtshof: Verbraucherverbände haben unter zwei Voraussetzungen ein Anhörungsrecht im Verwaltungsverfahren der Kommission zur Prüfung eines Zusammenschlusses
Im vorliegenden Fall kann der Umstand, dass ein Verbraucherverband seinen Antrag auf Anhörung vor der Anmeldung des Zusammenschlusses gestellt hat, kein Ersatz für die fehlende Erneuerung dieses Antrags nach der förmlichen Einleitung des Verfahrens sein

(25.10.11) - Die Association belge des consommateurs test-achats (ABCTA) ist ein Verein ohne Gewinnzweck, dessen Hauptziel der Schutz der Verbraucherinteressen insbesondere in Belgien ist. Mit rund 350.000 Einzelmitgliedern handelt es sich um den größten Verbraucherverband in Belgien.

Im Juni 2009 erfuhr die ABCTA, dass die Électricité de France (EDF) angekündigt hatte, die alleinige Kontrolle über die Segebel SA erwerben zu wollen, eine Holding, deren einziger Vermögenswert eine Beteiligung von 51 Prozent an der SPE SA war, dem zweitgrößten Stromanbieter in Belgien nach dem ältesten Anbieter Electrabel SA, der von der GDF Suez SA kontrolliert wurde. Zum maßgeblichen Zeitpunkt hielt der französische Staat 84,6 Prozent der Aktien der EDF. An der GDF Suez hielt Frankreich eine Minderheitsbeteiligung von 35,91 Prozent.

Am 23. Juni 2009 richtete die ABCTA ein Schreiben an die Europäische Kommission, in dem sie ihre Bedenken zum in Rede stehenden Zusammenschluss äußerte. In diesem Zusammenhang forderte sie die Kommission auf, die angeblichen negativen Auswirkungen der Präsenz des französischen Staats unter den Anteilseignern der EDF und der GDF Suez auf den Wettbewerb zu untersuchen, insbesondere auf den belgischen Gas- und Strommärkten. Die Kommission antwortete ihr im Juli 2009, dass ihre Stellungnahme bei der Prüfung des in Rede stehenden Zusammenschlusses berücksichtigt würde.

Am 23. September 2009 meldete die EDF den in Rede stehenden Zusammenschluss bei der Kommission an. Am 30. September 2009 wurde eine Bekanntmachung der Anmeldung im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht und interessierten Dritten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die ABCTA hat auf diese Bekanntmachung nicht reagiert.

Am 12. November 2009 erließ die Kommission zum einen eine Entscheidung1, mit der der Antrag der zuständigen belgischen Behörden auf teilweise Verweisung der Prüfung des Zusammenschlusses abgelehnt wurde (ablehnende Verweisungsentscheidung), und zum anderen eine Entscheidung2, mit der dieser Zusammenschluss für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt wurde (Genehmigungsentscheidung).

Die ABCTA erhob beim Gericht Klage auf Nichtigerklärung dieser beiden Entscheidungen der Kommission.

Zum Antrag auf Nichtigerklärung der Genehmigungsentscheidung
Das Gericht weist zunächst darauf hin, dass eine natürliche oder juristische Person gegen eine an eine andere Person ergangene Entscheidung nur Klage erheben kann, wenn diese Entscheidung sie unmittelbar und individuell betrifft. Aus der Rechtsprechung geht jedoch hervor, dass bei Entscheidungen der Kommission zur Vereinbarkeit eines Zusammenschlusses mit dem Gemeinsamen Markt die Voraussetzungen der Klagebefugnis interessierter Dritter unterschiedlich zu beurteilen sind, je nachdem, ob diese zum einen Mängel in Bezug auf den Inhalt dieser Entscheidungen geltend machen (interessierte Dritte "erster Kategorie"), oder zum anderen behaupten, die Kommission habe die ihnen durch die Rechtsvorschriften der Europäischen Union über die Kontrolle von Zusammenschlüssen verliehenen Verfahrensrechte verletzt (interessierte Dritte "zweiter Kategorie").

1 Entscheidung C (2009)8954 (Sache COMP/M.5549 – EDF/Segebel).
2 Entscheidung C (2009)9059 (Sache COMP/M.5549 – EDF/Segebel).

Was die erste Kategorie betrifft, so müssen diese Dritten von der angefochtenen Entscheidung individuell betroffen sein. Mit anderen Worten muss die in Rede stehende Entscheidung diese Person wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berühren und sie in ähnlicher Weise individualisieren wie den Adressaten. Die ABCTA fällt jedoch nicht unter die erste Kategorie, da sie von der Entscheidung der Kommission nicht individuell betroffen ist.

Zur Frage, ob die ABCTA unter die zweite Kategorie fällt, stellt das Gericht fest, dass nach dem Unionsrecht Verbraucherverbänden ein Verfahrensrecht zusteht, nämlich das Recht auf Anhörung im Rahmen des Verwaltungsverfahrens der Kommission zur Prüfung eines Zusammenschlusses, sofern zwei Voraussetzungen erfüllt sind: 1.) Der Zusammenschluss muss von Endverbrauchern genutzte Waren oder Dienstleistungen betreffen, und 2.) der Verbraucherverband muss tatsächlich einen schriftlichen Antrag auf Anhörung durch die Kommission im Prüfverfahren eingereicht haben.

Wenn – so das Gericht – die ABCTA auch die erste Voraussetzung erfüllt, da der in Rede stehende Zusammenschluss Auswirkungen oder zumindest Nebenwirkungen auf die Verbraucher haben kann, so erfüllt dieser Verbraucherverband doch nicht die zweite Voraussetzung.

Hierzu führt das Gericht aus, dass die Schritte, die Dritte unternehmen müssen, um am Verfahren zur Kontrolle von Zusammenschlüssen beteiligt zu werden, nach der förmlichen Anmeldung eines Zusammenschlusses erfolgen müssen. Dadurch wird im Interesse Dritter vermieden, dass sie Anträge stellen, bevor der Gegenstand des Prüfverfahrens der Kommission im Rahmen der Anmeldung des in Rede stehenden wirtschaftlichen Vorhabens festgelegt worden ist. Darüber hinaus bleibt der Kommission dadurch die Arbeit erspart, die bei ihr eingegangenen Anträge gezielt danach zu trennen, ob sie sich auf wirtschaftliche Vorhaben beziehen, die allein auf abstrakten Annahmen oder auf schlichtem Hörensagen beruhen, oder sich auf Vorhaben beziehen, die zu einer Anmeldung führen. Das entgegengesetzte Szenario entspräche nicht dem Beschleunigungsgebot, das die Rechtsvorschriften der Union über die Kontrolle von Zusammenschlüssen kennzeichnet.

Im vorliegenden Fall hatte die ABCTA zwei Monate vor der Anmeldung bei der Kommission einen Antrag auf Anhörung im Rahmen der Prüfung des Zusammenschlusses gestellt. Dies kann jedoch kein Ersatz für die fehlende Erneuerung dieses Antrags oder die fehlende Initiative der ABCTA sein, nachdem der geplante Zusammenschluss zwischen der EDF und Segebel, von dem sie schon vorher Kenntnis hatte, tatsächlich ordnungsgemäß angemeldet worden war und daher das Verfahren in Gang gesetzt worden war, in dem die Klägerin hatte angehört werden wollen.

Zum Antrag auf Nichtigerklärung der ablehnenden Verweisungsentscheidung
Nach ständiger Rechtsprechung ist die Klage eines an einem Zusammenschluss interessierten Dritten gegen die Entscheidung, mit der die Kommission dem Verweisungsantrag einer nationalen Wettbewerbsbehörde stattgibt, zulässig.

Das Gericht stellt hingegen fest, dass eine Klage interessierter Dritter gegen eine ablehnende Verweisungsentscheidung, mit der die Kommission den Verweisungsantrag einer nationalen Behörde ablehnt, nicht zulässig ist. Die Verfahrensrechte und der gerichtliche Rechtsschutz, die das Unionsrecht Dritten gewährt, werden durch die ablehnende Verweisungsentscheidung nämlich nicht im Geringsten beeinträchtigt. Diese Entscheidung garantiert im Gegenteil den an einem Zusammenschluss von gemeinschaftsweiter Bedeutung interessierten Dritten zum einen, dass dieser von der Kommission nach Unionsrecht geprüft werden wird, und zum anderen, dass eine etwaige Klage gegen die verfahrensbeendende Entscheidung der Kommission in die Zuständigkeit des Gerichts fällt.

Daher wird die Klage vom Gericht als unzulässig abgewiesen. (Europäischer Gerichtshof: ra)




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