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Bilanz: Ein Jahr Pfändungsschutzkonto


Einführung des sogenannten P-Kontos: Existenz-bedrohende Umsetzungsprobleme
Als Tiger der Sozialpolitik war das Unternehmen Pfändungsschutzkonto im Juli 2010 gestartet


(01.07.11) - Einfach und unbürokratisch – so hatte sich der Gesetzgeber die Existenzsicherung für Schuldner bei der Einführung des neuen Pfändungsschutzkontos ausgemalt. Die Praxis habe dem lobenswerten Vorstoß jedoch einen Strich durch diese Rechnung gemacht: In 26 nordrhein-westfälischen Städten meldeten die Verbraucherzentralen vor Ort teilweise Existenz bedrohende Umsetzungsprobleme.

"Bei der Bescheinigungspraxis landet der sozialpolitische Tiger als Stolperfallen trächtiger Bettvorleger", fasst die Verbraucherzentrale NRW die Ergebnisse eines Markt-Checks ein Jahr nach Einführung des sogenannten P-Kontos zusammen: "Da werden Schuldner zur Existenzsicherung auf eine Odyssee von A nach B geschickt, reichen Geldinstituten selbst wasserdichte Bescheinigungen nicht aus oder verweigern Gerichte kurzfristigen Rechtsschutz." Als einen sozialpolitischen Missstand erster Güte macht Verbraucherzentralenvorstand Klaus Müller aus, dass es offenbar vom Wohnort abhängig sei, ob ein Schuldner sein Existenzminimum zeitnah und unkompliziert sichern könne.

Als Tiger der Sozialpolitik war das Unternehmen Pfändungsschutzkonto im Juli 2010 gestartet: Während Schuldner bis dato beim Gericht oder der pfändenden Behörde einen monatlichen Freibetrag zum Leben beantragen und durchsetzen mussten, war eine gesetzlich festgelegte Schutzzone (1.028,89 Euro ab 1. Juli 2011) beim P-Konto fortan per se garantiert – beabsichtigte Vereinfachung des Verfahrens und Entlastung der Gerichte inklusive. Allerdings: Den meisten Betroffenen steht etwa durch Kindergeld und Unterhaltspflichten ein weit höherer Freibetrag zu, der aber erst mittels einer Bescheinigung zusätzlich pfändungsfrei gestellt werden kann, sobald diese bei der Bank vorgelegt wird. Alles, was hiermit nicht freigestellt worden ist, geht am Ende des folgenden Monats an den pfändenden Gläubiger.

In 40 nordrhein-westfälischen Städten hatte sich die Verbraucherzentrale NRW im Mai/Juni 2011 zur Bestandsaufnahme aufgemacht: Knapp ein Jahr nach P-Konto-Einführung ermittelte sie per Fragebogen bei 53 Gerichten, 139 Banken und Sparkassen, 101 Sozialleistungsträgern sowie 232 Arbeitgebern, ob die Vereinfachung gelungen ist oder welche Hürden Schuldner an ihrem Wohnort fürs Ausstellen der notwendigen Bescheinigung nehmen müssen. Ergänzend wurde bei 87 Schuldnerberatungen zur Lage vor Ort recherchiert. Denn als Fußangel im Gesetz hatte sich gezeigt, dass die Anforderungen an Ausstellung und Akzeptanz der Bescheinigungen zu weit gefasst, die im Gesetz genannten Stellen – wie Schuldnerberatungsstellen, Sozialleistungsträger oder Arbeitgeber – zu deren Ausstellung nicht verpflichtet sind, während gleichzeitig die Gerichte nur nachrangig tätig werden.

"14 Beratungsstellen meldeten zurück, dass Schuldner vor Ort zeitnah keine Chance auf Erteilung einer Bescheinigung hätten", so die ernüchternde Bilanz der Verbraucherzentrale NRW. Als größtes Manko insgesamt wurde ausgemacht, dass die Handhabung so uneinheitlich ist, dass Betroffene nicht wissen, welches Testat bei Banken und Sparkassen als verbindlich anerkannt wird und wo man es am jeweiligen Wohnort bekommt.

So liegt die Akzeptanz erhältlicher Bescheinigungen für Schuldner meist im Nebel: Während rund 65 Prozent der Geldinstitute, die an der Umfrage teilgenommen haben, zumindest einige der vorgelegten Leistungsbescheide (über Kindergeld, ALG I, II, Altersrente, Sozialhilfe usw.) ausreichten, um den Grundfreibetrag zu erhöhen, pochten rund 35 Prozent auf Vorlage einer entsprechenden Musterbescheinigung, die zum Beispiel Schuldnerberatungen zur Verfügung stellen. Wer sich mit dieser Anforderung konfrontiert sieht, läuft bei den Sozialleistungsträgern dann allerdings keineswegs offene Türen ein: 37 Prozent der befragten Jobcenter, Agenturen für Arbeit oder Sozialämter gaben an, dass der Sozialleistungsbescheid ausreichend sein müsse – und die zusätzlich geforderte Bescheinigung ausdrücklich nur in Einzelfällen erteilt werde.

Auch wenn bei Schuldnerberatungen um eine Bescheinigung für den Mehrbedarf ersucht wird, gibt es diese nicht "frei Haus": Nach Recherche der Verbraucherzentrale NRW bei 87 Schuldnerberatungsstellen erstellen 47 diese nur für die "eigenen Kunden", sprich in einer Beratung bereits betreute Schuldner, aus. Gerade einmal bei 30 ist eine Bescheinigung für jeden Ratsuchenden erhältlich – so bei allen 13 Schuldnerberatungen der Verbraucherzentrale NRW.

Zwar dürfen nach dem Gesetz auch Arbeitgeber Bescheinigungen ausstellen, doch ist hier branchenübergreifend Zurückhaltung Leitprinzip: Gerade ein Viertel der 95 antwortenden Unternehmen stellt Mitarbeitern eine Bescheinigung aus. Von den 69 Verweigerern kennt die Hälfte das Gesetz nicht, andere scheuen den vermeintlich hohen Arbeitsaufwand.

Wer ob dieser Odyssee beim Amtsgericht Rechtsschutz für sein Existenzminimum erreichen will, gerät oftmals in Verwaltungsmühlen: Nur drei der 20 Gerichte, die den Fragebogen beantwortet haben, bestimmen den Freibetrag ohne Wenn und Aber. Sechs werden hierbei erst aktiv, wenn der Antragsteller schriftlich nachweist, dass keine der örtlichen Schuldnerberatungen die notwendige Bescheinigung erteilen kann. Zehn Gerichte verlangen eine Bestätigung der Bank, dass Sozialleistungsbescheide zur Freibetragserhöhung nicht ausreichen.

"Zu viele Schuldner fallen bei der Suche nach einer bescheinigenden Stelle für den Mehrbedarf in ein die Existenz bedrohendes Loch", fasst die Verbraucherzentrale NRW die Ergebnisse ihres Praxis-Checks zusammen und fordert dringende gesetzliche Nachbesserungen: "Die Anforderungen zur Anerkennung von Bescheinigungen müssen präziser gefasst werden. Die Variabilität der Bestimmungen darf nicht länger auf dem Rücken der Schuldner ausgetragen werden." Einstweilen appelliert sie daher an alle Akteure, Verantwortung zu übernehmen und sich vor Ort auf Verfahren zu verständigen: "Das vereinfacht den Pfändungsschutz für den Schuldner wie für bescheinigende Stellen und Geldinstitute." Dabei hat die Verbraucherzentrale NRW schon eine Stadt ausgemacht, in der das bereits funktioniert: In Münster gibt es verbindliche Verabredungen, welche Bescheinigungen die Geldinstitute anerkennen – und eine gezielte Schuldnerinformation über den sicheren Weg dorthin.

Übrigens: Während Schuldner sich bislang von sich aus für ein P-Konto entscheiden konnten, wird es ab Januar 2012 für alle Betroffenen mit Kontopfändung Pflicht. Was den dringenden Handlungsbedarf bei der Bescheinigung für den erhöhten Bedarf für Gesetzgeber und Beteiligte noch verschärft. (Verbraucherzentrale NRW: ra)

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