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EU-Kommission straft Stahlkartell ab


EU-Kommission verhängt Geldbußen von 518 Mio. Euro gegen langjähriges Kartell von Spannstahl-Herstellern
Joaquín Almunia: "Es ist erstaunlich, wie es so zahlreichen Unternehmen gelingen konnte, über einen so langen Zeitraum hinweg nahezu die gesamte europäische Bauindustrie auf einem so wichtigen Produktmarkt zu schädigen"


(07.07.10) - Die Europäische Kommission hat gegen 17 Spannstahl-Hersteller ein Bußgeld in Höhe von 518.470.750 Euro verhängt. Das Kartell dauerte mindestens 18 Jahre (bis 2002) und erstreckte sich auf alle damaligen Mitgliedstaaten der Europäischen Union bis auf drei. Die Kommission hat in ihrer Entscheidung beschlossen, dass die Hersteller das Verbot der Europäischen Union von Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen gebrochen haben.

Als Spannstahl werden Metalldrähte und Litzen aus Bewehrungswalzdraht bezeichnet, die z. B. zum Vorspannen von Beton für Bodenplatten, Balkone oder Brücken verwendet werden. Es handelt sich um den vierten Kartellbeschluss seit Anfang Februar. Die Gesamthöhe der in 2010 verhängten Antitrust-Geldbußen beläuft sich damit inzwischen auf 1,493 Mrd. Euro.

"Es ist erstaunlich, wie es so zahlreichen Unternehmen gelingen konnte, über einen so langen Zeitraum hinweg nahezu die gesamte europäische Bauindustrie auf einem so wichtigen Produktmarkt zu schädigen. Diese Unternehmen sind fast so aufgetreten wie in einer Planwirtschaft", kommentierte Joaquín Almunia, der für die Wettbewerbspolitik zuständige Vizepräsident der Kommission.

Almunia führte weiter aus: "Die Kommission wird gegenüber Kartellen keine Nachsicht walten lassen. Wiederholungstäter werden mit einer höheren Geldbuße belegt, und Anträgen auf Stundung oder Senkung der Geldbuße wegen drohender Zahlungsunfähigkeit wird nur stattgegeben, wenn die Geldbuße das Unternehmen eindeutig in den Konkurs treiben würde, was selbst in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten selten ist".

Die Kommission hat gegen 17 Spannstahl-Hersteller Geldbußen von insgesamt 518.470.750 Euro wegen eines Preis- und Marktaufteilungskartells verhängt, dass von Januar 1984 bis September 2002 Bestand hatte und sich auf alle damaligen EU-Länder mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs, Irlands und Griechenlands erstreckte. Außerdem betraf das Kartell Norwegen.

Das Kartell endete 2002, als DWK/Saarstahl unter Inanspruchnahme der damals eingeführten Kronzeugenregelung die Kommission von seiner Existenz unterrichtete und diese unangekündigten Nachprüfungen in den Geschäftsräumen der mutmaßlichen Kartellmitglieder durchführte.

18 Jahre lang haben die beteiligten Unternehmen einzelne Lieferquoten und Preise festgesetzt, Abnehmer untereinander aufgeteilt und sensible Geschäftsinformationen ausgetauscht. Diese Preis- und Marktaufteilungsabsprachen wurden mittels eines Systems von nationalen Koordinatoren und bilateralen Kontakten überwacht. Dies ist ein Verstoß gegen Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union.

Die ersten europaweiten Kartelltreffen fanden in Zürich statt, weshalb das Kartell ursprünglich als "Züricher Club" bezeichnet und später in "Club Europa" umbenannt wurde. Daneben gab es auch zwei regionale Ableger in Italien ("Club Italia") und Spanien/Portugal ("Club España").

Diese verschiedenen Zweige des Kartells standen durch Gebietsüberschneidungen sowie durch die jeweiligen Mitglieder und gemeinsame Zielsetzungen miteinander in Zusammenhang. In der Regel trafen sich die Unternehmen am Rande offizieller Branchenverbands-Veranstaltungen in Hotels überall in Europa. Der Kommission liegen Beweise für mehr als 550 Kartelltreffen vor.

Nachstehend werden die Höchstbeträge aufgeführt, die die einzelnen Unternehmensgruppen zu zahlen haben. Innerhalb jeder Gruppe können einzelne Unternehmen für den gesamten Betrag oder Teile davon haftbar gemacht werden. Insgesamt richtet sich der Beschluss an 36 Unternehmen.

Geldbuße (in Euro)
*Einschließlich Minderung (in Prozent) im Rahmen der Kronzeugenregelung oder wegen kooperativen Verhaltens außerhalb der Kronzeugenregelung



Bei der Festsetzung der Geldbuße hat die Kommission den Umsatz der Kartellunternehmen auf dem betroffenem Markt im letzten Jahr vor dem Ende des Kartells (2001), die große Schwere der Zuwiderhandlung, die räumliche Ausdehnung des Kartells und seine lange Dauer berücksichtigt. Die Geldbußen gegen ArcelorMittal Fontaine und ArcelorMittal Wire France wurden um 60 Prozent erhöht, weil sie bereits zuvor in zwei Fällen wegen Kartellvergehen im Stahlsektor - siehe IP/89/627 (Betonstahlmatten) und IP/94/134 (Stahlträger) - sanktioniert worden waren.

Auch gegen Saarstahl war wegen seiner Teilnahme am Stahlträger-Kartell eine Geldbuße verhängt worden, jedoch wurde dem Unternehmen die Geldbuße in dieser Sache vollständig erlassen, weil es als erstes Unternehmen unter Inanspruchnahme der Kronzeugenregelung von 2002 Informationen über das Kartell beigebracht hatte.

Die Geldbußen gegen Proderac und Emme wurden wegen der weniger intensiven Beteiligung am Kartellvergehen um 5 Prozent gesenkt.

Wegen der sehr langen Dauer des Kartells hätten die Geldbußen gegen einige Unternehmen über der Schwelle von 10 Prozent ihres Umsatzes im Jahr 2009 gelegen und wurde deswegen auf diesen Wert reduziert.

Darüber hinaus gewährte die Kommission Geldbußenermäßigungen wegen der Zusammenarbeit aufgrund der Kronzeugenregelung von 2002 (siehe IP/02/247 und MEMO 02/23) an Italcables/Antonini (50 Prozent), Nedri (25 Prozent), Emesa und Galycas (5 Prozent), ArcelorMittal und seine Tochtergesellschaften (20 Prozent) und WDI/Pampus (5 Prozent).

Die Geldbuße gegen ArcelorMittal España wurde wegen kooperativen Verhaltens außerhalb der Kronzeugenregelung um 15 Prozent ermäßigt. Redaelli und SLM erfüllten nicht die Kooperationsanforderungen der Kronzeugenregelung. Deshalb wurden ihre Geldbußen nicht ermäßigt.

Schließlich gewährte die Kommission wegen begründeter Anträge auf Berücksichtigung drohender Zahlungsunfähigkeit in drei Fällen Ermäßigungen um 25 Prozent, 50 Prozent bzw. 75 Prozent. Eingegangen waren bei der Kommission 13 solche Anträge auf der Grundlage der Geldbußen-Leitlinien von 2006.

Bei der Prüfung einschlägiger Anträge berücksichtigt die Kommission die jüngsten Unternehmensbilanzen und die wirtschaftlichen Prognosen, Kennziffern für die Finanzkraft, die Rentabilität, die Zahlungsfähigkeit und die Liquidität sowie die finanziellen Beziehungen zu externen Finanzpartnern und zu Aktionären. Darüber hinaus würdigt die Kommission das soziale und ökonomische Umfeld der einzelnen Unternehmen und prüft, ob ihre Aktiva im Falle eines Konkurses infolge der Geldbuße erheblich an Wert verlieren würden.

Hintergrund
Die Untersuchung der Kommission begann mit unangekündigten Nachprüfungen im September 2002 und im Juni 2006. Im Oktober 2008 wurde den beteiligten Unternehmen eine Mitteilung der Beschwerdepunkte zugeleitet (MEMO 09/53). Nach den Erwiderungen der betroffenen Unternehmen hat die Kommission die Vorwürfe gegen eine Unternehmensgruppe (vier Unternehmen) fallengelassen. Die Geldbußen beruhen auf den Geldbußen-Leitlinien von 2006.

Schadenersatzforderungen
Personen oder Unternehmen, die von dem beschriebenen wettbewerbswidrigen Verhalten betroffen sind, können vor den Gerichten der Mitgliedstaaten auf Schadenersatz klagen. Laut Rechtsprechung des Gerichtshofs und gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates sind Kommissionsbeschlüsse ein bindender Nachweis dafür, dass das Verhalten stattgefunden hat und rechtswidrig war.

Auch wenn die Kommission gegen die betroffenen Unternehmen Geldbußen verhängt hat, kann Schadenersatz gewährt werden, auf den die Geldbuße der Kommission nicht mindernd angerechnet wird. Zu Schadenersatzklagen wegen Verletzungen des Wettbewerbsrechts wurde unlängst ein Weißbuch veröffentlicht (siehe IP/08/515 und MEMO/08/216).

Weitere Informationen einschließlich der Bürgerinfo zu diesem Weißbuch können hier abgerufen werden.

Weitere Informationen über die Maßnahmen der Kommission gegen Kartelle finden sich in MEMO/10/290. (EU-Kommission: ra)


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